Nutzung von Klinischen Informationssystemen Forschung am Beispiel von Patientendatenmanagementsystemen (PDMS): Möglichkeiten und Grenzen, Anforderungen und Methoden

20. Mai 2014, ab 11:30

Der Einsatz von Informationssystemen in der Medizin wird häufig mit der Erwartung verknüpft, dass die einmal für die Krankenversorgung erfassten Daten nicht verloren sind, sondern für die Forschung zur Verfügung stehen. Dies gilt insbesondere für Patientendatenmanagementsysteme (PDMS), auch Intensivinformationsmanagementsysteme (IMS) genannt, deren Beschaffung, Einführung und Betrieb mit hohen Kosten verbunden. Jedoch sind bei der Forschung verschiedene Aspekte zu beachten. In dem Vortrag werden anhand von Literatur, eigenen Erfahrungen und Studien folgende Punkte beleuchtet:

Was soll wie dokumentiert werden?

Es muss ein Datensatz entwickelt und in einem PDMS implementiert werden, der die verschiedenen Aspekte der Dokumentation unterstützt. Dabei steht die Forschung meist nicht an erster Stelle, sollte aber schon bei der Implementierung beachtet werden. Ein weiterer Faktor ist die Art der Implementierung, da nicht nur der Datensatz sondern auch Softwareergonomie Einfluss auf die Datenqualität hat.

Gute wissenschaftliche Praxis

Bei der Planung und Durchführung von Studien mit Versorgungsdaten gilt es die Gute Epidemiologische Praxis (GEP) und die Gute Praxis Sekundärdatenanalyse (GPS) zu beachten. Meist hilft es zusätzlich schon bei der Studienplanung und Durchführung die Struktur der Publikation gemäß dem STROBE und zukünftig dem RECORD-Statement bzw. dem STROSA vor Augen zu haben und die eigene Arbeit dementsprechend zu dokumentieren. Auch wenn die Arbeit „retrospektiv“ und meist auch „retrolektiv“ ist, sollte die Planung der Studie einschließlich der geplanten Auswertungen vorausschauend erfolgen. Dies ist auch eine Voraussetzung für die ggf. notwendigen Beratungen.

Ethische und regulatorische Anforderungen

In den meisten Ärztekammerbezirken die Beratung durch eine Ethikkommission gemäß §15 Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte erforderlich, wenn die Daten nicht vollständig anonymisiert sind. Weiter gilt es die zuständigen Datenschutzgesetze und die ärztliche Schweigepflicht (§203 StGB) einzuhalten, sowie die Urheberrechte an den auszuwertenden Daten zu beachten.

Record Linkage

Wenn Daten in unterschiedlichen Informationssystemen vorliegen, müssen diese über ein Record Linkage zusammengeführt werden Trotz der heutzutage flächendeckend etablierten Ordnungsnummern die einer lebenslänglichen Patienten-ID oder eine auf den Krankenhausaufenthalt bezogene Fallnummer kommt es immer wieder zu Duplikaten (Patienten-IDs) oder Falschzuordnungen (insb. bei Fallnummern). Bei einer einrichtungsübergreifenden Zuordnung sind auf jeden Fall eine manuelle Bearbeitung und eine Angabe von Fehlerquoten erforderlich.

Datenauswertung und Interpretation

Versorgungsdaten werden nie die gleiche Qualität erhalten wie Daten innerhalb einer prolektiven, durch Studienassistenten und Monitore unterstützten Studie. Ihre Ergebnisse sind nie beweisbar oder statistisch signifikant. Trotzdem nehmen Sie innerhalb der Wissenschaft eine wichtige Rolle ein: Sie ermöglichen eine auf Beobachtung beruhende Hypothesengenerierung mit einem vertretbaren Aufwand. Ein weiterer Aspekt ist der Blick auf ein „unbeobachtetes System“: Klinische Studien haben immer einen Bias durch starke Ein- und Ausschlusskriterien, sowie eine gute Schulung / Ausbildung des Studienpersonal und eine intensive Betreuung der Patienten. Dies kann zu Verzerrungen führen. Hier ermöglicht die Analyse von Versorgungsdaten einen Blick auf die reale Welt – allerdings ohne zu wissen, ob dieser nicht durch andere Faktoren verzerrt wird. Eine weitere Stärke von Versorgungsdaten ist die große Zahl, sodass auch seltene Ereignisse entdeckt werden können.

Diese Stärke und Schwächen sind in der Studienplanung, aber vor allem bei der Interpretation der Ergebnisse zu beachten.

Auch wenn für retrospektive Studien keine Anmeldung an einem Studienregister erfolgt, sollte eine Studie so geplant werden, dass man auch negative Ergebnisse publizieren kann um einen Publication-Bias in der Wissenschaft zu vermeiden.

Unterstützung von prospektiven Studien

Wenn eine Hypothese auf der Basis von Versorgungsdaten erstellt wurde, gilt es diese mit einer Prospektiven, wenn möglich randomisierten Studie zu falsifizieren. Hierbei kann ein PDMS bei folgenden Aufgaben unterstützen:

•    Fallzahlplanung
•    Patientenrekrutierung
•    Einhalten der standardisierten Therapie
•    Dokumentation

Diskussion und Ausblick

PDMS können ein wertvolles Werkzeug zur Unterstützung der medizinischen Forschung sein. Eine verbessertes Information Retrieval darf aber nicht dazu verleiten, den Aufwand einer retrospektiven Studie zu unterschätzen. Gerade die zur Verfügung stehende Menge und Vielfalt an Daten erfordert eine Vielzahl von Kompetenzen: Medizinische Fachkenntnisse zur Entwicklung der Fragestellungen (Fachdomäne), Kenntnisse der klinischen Abläufe, der Dokumentationsprozesse und Informationssysteme (Kontext), Kenntnisse im Bereich Studienplanung und Statistik (Methodik).

Viele Projekte (und medizinische Doktorarbeiten) scheitern, weil es an der einen oder anderen Kompetenz in dem Projekt fehlt. Daher gilt es auch für den Bereich der Versorgungsdatenforschung die methodische Aus- und Weiterbildung von Studierenden und Ärzten weiter auf- und auszubauen. Und vor allem eine Bewusstsein zu schaffen, dass auch die Forschung mit Versorgungsdaten eine interdisziplinäre und interprofessionelle Aufgabe ist, die durch den Dialog der verschiedenen ausbildungsbedingten Perspektiven gewinnt.